Ich begleite den Bau einer Windkraftanlage über zwei Monate, vom Turmbau bis zur Rotorblattmontage.
Wenn man in Süddeutschland große Krane fotografieren will, dann ist der Bau von Windkraftanlagen der Ort, wo man sie am einfachsten findet. So auch im Frühjahr 2021, als bei Neuselhalden zwei große neue Anlagen installiert wurden. Ich habe mehr oder weniger den ganzen Bau verfolgt, mit Fokus auf der LR-11000 von Hartinger. Die Bilder sind von beiden Anlagen.
"Mehr oder weniger", weil das Fundament schon betoniert war und auch der untere Teil des Hybridturms schon stand. Hybridtürme bestehen im unteren drittel aus Betonschalen. Jeweils drei werden zu einem Ring zusammengesetzt und dann aufeinander "gestapelt". Weil die einzelnen Segmente relativ leicht sind und die Hubhöhe noch relativ niedrig ist, machen das kleinere Krane. Im Falle von Neuselhalden war der LTM-1750 von Wiemann im Einsatz. Den hab ich aber leider nur bei der Abreise erwischt. Auf die Betonsegmente kommen dann zwei längere Stahlturmsegmente, darauf das Maschinenhaus, je nach Anlagentyp wird noch ein Teil des Getriebes separat montiert, und dann werden die Blätter installiert, jeweils einzeln. Die Kombination aus Höhe, Gewicht und Ausladung, bzw. die Möglichkeit die effektive Ausladung zu erhöhen weil der Kran mit Last verfahren kann, führt quasi zwangsläufig zu Raupenkranen. Typisch sind LR-1750 und LR-1800, der Einsatz des 1000-Tonners LR-11000 ist seltener. Davon gibt's nicht soooo viele in Deutschland. Insofern war das hier wirklich spannend.
Das erste Mal hab ich die Truppe von Hartinger getroffen, als grade das Grundgerät aufgebaut war. Was in den folgenden Bildern gezeigt ist sind sieben oder acht LKW-Ladungen (ich verwende sicher teils falsche Bezeichnungen, sorry): der Unterwagen, je eine Raupe, der Unterwagenballast, sowie der Oberwagen. Der Kran kann sich nicht selbst montieren, weswegen ein Hilfskran zum Einsatz kommt, hier (glaube ich) eine LTR 1220.
Als ich das nächste Mal vorbeigegangen bin, war der Gegenausleger schon montiert. Wie aus den späteren Bildern sichtbar wird, beruht das Prinzip eines Gittermastkrans ja darau, dass er im Grund Ausleger in zwei Richtungen hat. An einem, dem höheren, hängt die Last. Am anderen das Gegengewicht. Die beiden sind über Seile verbunden, und sind so ungefähr im Gleichgewicht. Der eigentliche Ausleger hat also noch gefehlt. Natürlich muss der aus Einzelteilen zusammengebaut werden, denn die 180 Meter Länge können logischerweise nicht aud der Strasse transportiert werden. Das geschieht natürlich in waagerechter Lage. Wer mehr zu Kranen wissen will, dem sei diese Podcastepisode empfohlen.
Fotografisch finde ich den voll zusammengebauten Kran mit abgelegtem Ausleger fast am spannendsten. Es sind interessantere Perspektiven möglich als wenn der Ausleger hochgezogen ist. Deswegen gibt's hier auch die meisten Bilder :-)
Irgendwann, wenn alles fertig zusammengebaut ist und der Wind nicht zu stark ist, wird der Hauptausleger hochgezogen. Aufgrund des riesiegen Hebelarms braucht der Kran da erheblich mehr Ballast als für die eigentlichen Lasthübe. Deswegen kann der LR-11000 den Schwebeballast am Gegenausleger auch teilen: grob 2/3 lässt er nach dem Aufrichten einfach stehen um mit dem verbleibenden Drittel die eigentliche Arbeit zu verrichten. Zum Ablegen wir der Rest wieder aufgenommen. Dieses System nennt Liebherr VarioTray. Ohne VarioTray müsste man den Ballast mit dem Hilfskran Stück für Stück ab- und wieder aufstapeln. Beim Aufrichten und Ablegen ist auch die Durchbiegung des Hauptauslegers am größten; siehe das sechste Bilder in der nächsten Gallerie.
Nachdem der Kran jetzt arbeitsfähig war, kamen dann bald auch die ersten Turmsegmente. Dass das halbwegs zeitgleich passiert ist übrigens nicht selbstverständlich. Ich habe mal ne Krancrew getroffen die eine Woche lang nicht arbeiten konnte weil keine Teile da waren. But I digress. Die Segmente wurden von Balmer angeliefert, mit Transportern, die die Segmente selbst ablegen konnten — also ohne Hilfe des Krans (siehe auch Mit Emmi und Rico durch die Nacht.) Es kamen danna auch gleich die ersten Rotorblätter. Über den Transport mit Selbstfahrer und Bladelifter gibt's irgendwann mal ne separate Story, den hab ich nämlich auch begleitet. Die mussten übrigens mit den beiden Kranen abgeladen werden.
Der erste Hub den ich miterlebt habe war der eines oberen Turmsegments. Der Kran hebt den Turm, Monteuere auf dem existierenden Stück Turm verschrauben das neue Teil mit dem bestehenden. Um die Turmsegmente von der Horizontalen in die Vertikale zu bringen arbeiten beide Krane zusammen: der große hebt das Segment an der Seite die oben sein wird, der Hilfskran an der anderen; dadurch kann das Segment ohne am Boden aufzustehen senkrecht gestellt werden.
Für Hübe bietet sich natürlich an, mit der Drohne zu fotografieren. Bilder direkt von unten wäre auch spannend, aber natürlich darf man sich auf keinen Fall direkt unter die Last stellen. Und je nach Laune des Kranfahrers (oder öfter, dem Baustellensicherheitsmenschen) muss man auch Abstand halten vom Kran. Teilweise muss man außerhalb der Radius stehen, bei dem einen der Kran noch erwischen würde wenn er umfällt. Im Endeffekt bleibt dann fast nur die Drohne. Oder mein 600mm Rohr das ich sonst zur Flugzeug-Fotografie einsetze.
Der nächste Hub war das Maschinenhaus; da war ich aber leider nicht dabei. Beim Rotor des Generators (also der bewegliche Teil, im Gegensatz zum Stator) dann schon. Weil im Laufe des Tages das Wetter schlechter werden sollte haben die Jungs direkt voch vor Sonnenaufgang angefangen, was zu sehr schönen Bildern geführt hat.
Der letzte Arbeitsschritt war die Blattmontage. Bei so großen Anlagen wird jedes Blatt separat montiert, bei kleineren Anlagen auch manchmal alle drei gemeinsam, man nennt das Sternmontage. Der Kran greift das Blatt am Schwerpunkt. Je nach Anlagentyp sind die Ösen wie hier direkt ins Blatt eingebaut, oder es wird ein spezieller Greifer verwendet. Während der Kran das Blatt langsam hebt, wird es durch Bodenpersonal mit langen Leinen stabilisiert bzw. feingesteuert. Oben in der Nabe sitzen wieder die Monteure mit den groben Gabelschlüsseln und nehmen das Blatt in Empfang um es mit der Nabe zu verschrauben. Wenn ein Blatt montiert ist wird der gesamte Rotor manuell verfahren sodass das nächste Blatt in Horizontallage montiert werden kann.
Solche Fotos wie hier (und generell bei den Stories) wären nicht möglich, ohne
Zugang zur Baustelle. Von außerhalb gibt's nur langweilige Draufsichten. In Neuselhalden
hatte ich wirklich viele Freiheiten. Insbesondere durfte ich
auch auf die Baustelle wenn nicht gearbeitet wurde. Das war extrem nützlich, weil ich
dann auch am Wochenende fotografieren konnte. Vielen Dank an die Truppe von Hartinger!
Nebenbei: ohne Erlaubnis solltet ihr Windkraftbaustellen nicht betreten. Auch wenn keiner
da ist gibt es meistens Überwachungsausrüstung basierend auf Lichtschranken und Kameras.
Wenn ihr trotzdem reingeht stehen die Chancen gut, dass ihr remote via Lautsprecher
von der Überwachungsfirma "beschimpft" werdet. Die drohen auch schnell mit der Polizei.