Fünfundvierig Kilometer bei Nacht durch Süddeutschland mit einem 25 Meter langen Windkraft-Turmsegment.
>Der Windkraft-Boom der letzten Jahre führte natürlich auch zu einem Boom der Industrien dahinter. Eine davon ist der Schwerlasttransport: Turmsegmente, Maschinenhäuser und Rotorblätter werden oft quer durch die Republik zu den Baustellen gefahren. Die Stahlturmsegmente sind ungefähr 25 Meter lang und haben knapp vier Meter Durchmesser. Die Rotorblätter sind nochmal deutlich länger. Der spannendste Teil des Transports kommt ganz am Schluss: von der Autobahn zur Baustelle, über kurvige Landstraßen und durch enge Ortsdurchfahren.
Anfang 2023 habe ich einen Turmtransport begleitet, über eine vierzig Kilometer lange Strecke von der Autobahnausfahrt Niederstotzingen zur Baustelle bei Stötten. Ich bin bei Rico in einem der Begleitfahrzeuge mitgefahren, und immer wieder rausgesprungen um den Transport zu fotografieren. Der LKW war ein wunderschöner schwarzer Mercedes Actros mit 630 PS und insgesamt 12 Achsen, souverän gelenkt von Emmi. Losgefahren sind wir gegen 22:00 Uhr, denn natürlich dürfen derart große Transporte nur nachts fahren, was die Fotografiererei durchaus anspruchsvoll gemacht hat. Die Tag zwischen den "Arbeitsnächten" verbringen die Fahrer auf Autobahnraststätten in ihren LKW oder Begleit-"Wohnmobilen". Zum Glück stehen die Begleitfahrzeuge auch für kleine Ausflüge in die nähere Umgebung zur Verfügung, sodass die Jungs und Mädels sind nicht nur auf den Raststätten rumhängen müssen. Geburtstage werden im Zweifelsfall auch unterwegs gefeiert, wie man an den Luftballons an Emmi's LKW erkennen kann :-)
Zwei Dinge sind mir aufgefallen und haben begeistert. Das eine ist, wie zügig und souverän Emmi (als Beispiel für die Fahrer generell) sich durch die dann doch nicht so breit scheinenden Strassen bewegt mit der langen Karre. Wir waren nicht nur mit 5 km/h unterwegs, wie man sich das vielleicht vorstellt. Dabei muss man wissen, dass Rico im Begleitfahrzeug direkt hinter dem LKW herfährt, und dabei ständig per Funk Feedback über Abstände und verfügbaren Platz an Emmi durchgibt. Er hat auch eine Fernsteuerung mit der er den Nachläufer lenken kann; wenn es eng und knifflig wird fahren Emmi und Rico den LKW sozusagen gemeinsam.
Das andere war die Koordination der Begleitfahrzeuge untereinander. Neben Rico, der hinter dem Transport fuhr, waren drei weitere Begleitfahrzeuge unterwegs die vor dem Transport die Strassen abgesperrt haben. Die drei sind immer jeweils so weiter gefahren, dass sie die Strasse vor dem Transport, inklusive der Einmündungen, frei gehalten haben. Die drei haben nicht viel geredet im Funk, aber die Koordination war sehr effektiv: nur einmal ist ein Auto "durchgerutscht" und der Transport musste anhalten um den PKW vorbei zu lassen.
Aus anderen Gründen musste Emmi übrigens öfter anhalten. Manchmal war es so eng, dass Rico ausgestiegen ist um ganz genau zu schauen, ob es reicht. Auch Emmi musste ihr warmes Fahrerhaus ein paar Mal verlassen um zusammen mit Rico den Transport in der Höhe zu verstellen. Normalerweise hält man den Turm möglichst niedrig über der Strasse, damit oben genug Abstand zu Ampeln oder Schildern bleibt. Aber manchmal muss man so halb über eine Verkehrsinsel oder einen Kreisel "drüber". Zu diesem Zweck lässt sich die Turmröhre anheben. Zumindest bei dem hier verwendeten Auflieger musste man dazu aussteigen und ein kleines Hydraulikaggregat anwerfen um dann mit Hebeln an Auflieger und Nachläufer die Höhe zu verstellen.
Zum Ende der Fahrt wurde es dann nochmal richtig spannend. Nebel, Schneefall und die Frage, ob die Zufahrt zur Baustelle über die Feldwege auf der Alb überhaupt noch schneefrei ist; denn wenn nicht, könnte es sein, dass LKW oder Nachläufer auf den für den Transport ausgelegten Stahlplatten in den Kurven seitlich abrutschen und dann im nassen, weichen Acker stecken. Das wäre nicht gut. Hat aber alles super geklappt, und gegen 01:00 Uhr sind wir an der Baustelle angekommen. Dann verspätete Nachruhe. Abladen am nächsten Tag.