Big science at its best.
Wenn ich einen Roman über den Kalten Krieg schreiben würde, würde ich vielleicht folgendermaßen beginnen. Es war ein kalter und nasser Herbsttag, dunkle Wolken hingen am Himmel, Nebel verdeckte die Welt. Ich war gerade nach einem dreistündigen Flug auf dem Flughafen der Stadt gelandet, und wurde von meinem Guide für den Tag empfangen. Wir verließen das Terminalgebäude, stiegen in einen VW Golf und fuhren durch die Stadt, bis wir schließlich an einem grauen Bürogebäude ankamen. Wir parkten das Auto, betraten das Gebäude und meldeten uns am Schalter an. Ein leicht genervt aussehender Angestellter kontrollierte meinen Ausweis, überprüfte meinen Namen auf einer Liste der angemeldeten Gäste und händigte mir dann einen Besucherausweis aus. "Tragen Sie den den ganzen Tag und achten Sie darauf, dass er immer sichtbar ist." Ja, natürlich. Wir verließen das Gebäude und stiegen wieder ins Auto, um eine verwirrende Fahrt anzutreten: raus aus dem Büroparkplatz, durch städtische Gebiete, in eine eher ländliche Landschaft, von einem Dorf zum anderen. Dann in ein Wohngebiet, das wir über eine enge, kurvenreiche Straße wieder zu verließen. Die Straße endete abrupt an einer Schranke mit einem Wachhäuschen. Ein offiziell aussehender Mann schaute in unser Auto und überprüfte unsere Ausweise.
Zufrieden mit unseren Credentials öffnete er das Tor und wir fuhren weiter. Wir parkten das Auto neben einem unscheinbaren Gebäude ein paar Dutzend Meter innerhalb des Geländes. Ein Mann stand davor und rauchte, wahrscheinlich genervt davon, dass man an diesem feuchten Herbsttag drinnen nicht rauchen durfte. Mein Guide öffnete die Tür mit seiner Schlüsselkarte, und wir betraten das Gebäude. Von innen sah es genauso langweilig aus wie von außen: eine Mischung aus Lagerhaus und Fabrikhalle, leer bis auf eine Menge technisch anmutender Geräte an der Westwand und einen riesigen Kran, der unter der Decke schwebte. Nachdem wir uns eine Weile mit den Kollegen meines Guides unterhalten hatten, gingen wir schließlich durch eine andere Tür, die wie ein vergitterter Käfig aussah. Mein Führer und ich holten die Ausrüstung ab: einen Helm und einen Strahlungsdetektor.
Beide waren obligatorisch, um weiterzukommen. Wir nahmen auch zwei Tokens aus einem Register, das erfasst, wie viele Personen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Anlage befinden. Denn die Anlage kann nicht in Betrieb genommen werden, solange sich Personen darin aufhalten. Der käfigartige Teil des Raums hatte eine Drehtür, durch die jeweils nur eine einzige Person passieren konnte. Mein Guide brauchte seine Keycard, um die Tür zu betätigen, aber ein Sensor scannte auch seine Netzhaut, um sicherzustellendass es sich wirklich um ihn handelte - eine klassische Zwei-Faktor-Autorisierung, bei der ein Faktor etwas ist was man besitzt, und das andere ist ein nicht entwendbarer biologischer Marker. Nachdem wir durch die Tür gegangen waren, betraten wir eine relativ große industriellen Aufzugskabine. Mein Guide wählte die unterste Etage und wir begannen unsere Reise nach unten - in eine geheime Welt voller großer Maschinen 50 Meter unter der Erdoberfläche.
Ich war glaube ich inzwischen dreimal am CERN in Genf. Einmal hab ich eine ganze Reihe von Gesprächsepisoden für omega tau aufgenommen, das zweite Mal war ich "unten" beim ALICE Detektor, und das dritte mal war ich zum Fotografieren dort, wir haben unter anderem den Beschleunigertunnel und den Beam Dump besichtigt. Die Story oben ist beim ALICE-Besuch entstanden, die Bilder im Tunnel und beim Dump.
Hier jetzt die ganze Story hinter CERN und dem LHC zu erklären führt zu weit; ich habe das ausführlich beschrieben im letzten Kapitel von Once You Start Asking. Ganz kurz: Ziel des Large Hadron Collider ist die Präzisierung und gegebenenfalls Ergänzung des Standardmodells der Teilchenphysik: also welche Teilchen und Prozesse sind absolut elementar, aus was besteht unser Universum. Um diese Teilchen und Prozesse beobachten zu können, werden riesige Energien benötigt, denn sie existieren nur dann. Um diese zu erzeugen werden sehr sehr schnell "fliegende" Protonen zur Kollision gebracht und die Kollisionen beobachtet. Die Protonenkollisionen werden dadurch erreicht, dass man zwei gegenläufige Protonenstrahlen auf einer 27 Kilometer langen Kreisbahn beschleunigt, und man dann ihre Wege kreuzt; mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit krachen dann zwei Protonen ineinander. Für all das wird ein riesiger technischer Aufwand betrieben: Große Magnete für Beschleunigung, Bahnkontrolle und zum Fokussieren des Protonenstrahls, jede Menge Kühlinfrastruktur, Strahldiagnostik und Regelung, Sicherheitssysteme, Detektoren der Größe von Mehrfamilienhäusern die unter Ausnutzung verschiedenen physikalischen Prinzipien und Messmethoden die Bahn und Energie der entstehenden Teilchen beobachten, sehr viele Computer und noch mehr Festplatten, ganz viel clevere Algorithmen, und ein Datenverteilungs- und Auswertungsnetzwerk das über die ganze Welt verteilt ist. Und alles — abgesehen von der Auswertung :-) — unterirdisch nördlich von Genf, unter der Schweiz und Frankreich.