
156 Reifen, 146 Kettenglieder, 16 Hände und hunderte Meter Stahlseil
Vielleicht täuscht mein Eindruck, aber die Nachrichten und Facebookgruppen waren Anfang 2025 voll mit Stories rund um Transformator-Transporte: Lübeck, Sedelsberg habe ich gelesen, in Heilbronn und Schwedt war ich selbst dabei. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass irgendeine Förderungsdeadline kurz bevor steht :-) Jedenfalls war ich Mitte Januar für zwei Tage im Hafen Schwedt/Oder und habe dort eingefangen wie Wiesbauer und Baumann das Ding abtransportiert haben.
Zwei Besonderheiten zeichneten diesen Hub aus. Zum einen kam ein 1000-Tonnen-Kran zum Einsatz. Nominell reichen für diese Hübe auch 600er oder 800er (CC 3800, LR-1800), aber Wiesbauer's LR-11000 war in der Gegend, weswegen sich der Hub für Wiesbauer angeboten hat. Zum anderen war dieser Transport der erste, bei dem die neue Kesselbrücke zum Einsatz kam, die Greiner für Baumann konstruiert und gefertigt hat.
Hinweis: da nicht von allen Beteiligten das Einverständnis für Bilder vorgelegen hat, habe ich teilweise mittels KI die Gesichter ersetzt. Also nicht wundern, wenn auf jedem Bild augenscheinlich andere Mitarbeiter zu sehen sind :-)

Der Plan war, dass da an dem Montag ein Schiff ist, aus dem der Trafo ausgeladen wird. Leider war der Hafen leer; die Wasserschutzpolizei hat wohl den Verkehr auf der Oder angehalten wegen Nebel. Den Montag haben die Jungs von Baumann also mit Vorbereitungen verbracht, die Leute von Wiesbauer hatten nicht so viel zu tun weil schon alles vorbereitet war.
Ich habe gleich morgens fotografiert und bin auch am Abend zum Sonnenuntergang nochmal in den Hafen gefahren. Das Licht war in beiden Fällen klasse, dementsprechend sind auch visuell sehr schöne Bilder entstanden. Wenn auch leider ohne "Action".
Dienstag morgen, 10:00 war die neue ETA für das Schiff. Daumendrücken allseits.

Nächster Morgen. Um 8:00 war ich da. Kein Schiff. Aber gut, es hieß ja auch um 10. Auf Vesselfinder & Co. war aber auch kein Schiff in der Gegend von Schwedt zu sehen. Seltsam. Nervosität. Anrufe bei der Dispo. Doch, es bleibt bei 10. Um 10:00 war da ... kein Schiff. Um 10:35 bog es dann tatsächlich um die Hafenmauer und machte direkt unter dem Kran fest. Alle waren erleichtert ... ich auch, wenn ich musste abends wirklich heim und ich wollte nicht umsonst die 2 x 750 km gefahren sein ... verrückt genug die Aktion! {% storytextcell Wenige Minuten später hatte Silvio den Kran und die Anschlagmittel über das Schiff gedreht und Joachim und Kollege kletterten auf den Trafo um ihn festzumachen. Grade mal eine Stunde nach Ankunft des Schiffs begann sich der 335 Tonnen schwere Trafo langsam aber stetig nach oben zu bewegen.
Am Kran hingen auch 100 Tonnen Schwebeballast. Kleines Detail gefällig? Aufgabe war ja, den Trafo aus dem Schiff zu heben und nach einer Drehung um 180° zwischen den beiden Teilen der Trafobrücke abzustellen. Wenn sich der Kran aber einfach um 180° drehen würde, dann wäre der Schwebeballast über dem Schiff bzw. dem Wasser. Das ist verboten; der Schwebeballast darf nur ca. einen halben Meter Abstand zum Boden haben. Der Grund dafür ist ein möglicher Lastabriss: der Kran würde dann ja schlagartig aus dem Gleichgewicht geraten und nach hinten kippen. Wenn der Schwebeballast nur einen halben Meter über dem Boden schwebt, schlägt er sofort auf und die Kippbewegung stoppt. Wenn da zwei Meter lang nichts kommt ... kippt der Kran komplett hinten über. Dann ist nicht nur die Last kaputt sondern auch der Kran. Um also zu vermeiden, dass der Schwebeballast nach der 180° Drehung nicht über dem Wasser schwebt, ist der Kran nach den ersten 90° Drehung ein paar zig Meter von der Kaimauer weggefahren. Der Ballast blieb über Land. Das war auch deshalb nötig, weil der ja irgendwo abgestellt werden muss wenn die Last fehlt ...

In einer früheren Story ist uns schonmal eine Trafobrücke (aka Kesselbrücke oder Seitenträgerbrücke) begegnet: Kahl hatte damals einen Phasenschieber ins Umspannwerk bei Ludwigsburg gefahren. Damals war die Brücke bereits vollständig montiert, und der Phasenschieber wurde vom Kran "reingehängt"; schaut Euch die Bilder an, dann versteht ihr was ich meine. Es gibt noch zwei andere Varianten. Die eine verwendet die Last selbst — oft einen Trafo — um die beiden Teile der Brücke zu verbinden. Die Träger werden dabei vorne und hinten an den Trafo angeschraubt. Dieser Post im Baumschinenforum zeigt ein Beispiel.
Hier wunde es nochmal anders gemacht. Auf dem Boden waren
Bongossi-Matten ausgelegt. Auf denen wurde der Trafo vom Kran abgelegt. Dann wurden die beiden Seitenträger vom LTM 1250 eingehoben und mit den zwei
Enden der Trafobrücke verschraubt. Zwischen den Holzstapeln lagen zwei Stahl-Querträger; die sind auf
diesem Bild ganz gut zu erkennen. Die wurden per Hand-Hydraulikheber angehoben und mit den Querträgern verbolzt. Nun wurde die komplette Trafobrücke angehoben — mit Hydraulikzylindern an beiden Seiten, die jeweils durch Aggregate und Pumpen auf den Tiefladern angetrieben waren — und der Trafo damit über Bongossi-Matten gehoben.
90 Meter lang, 32 Achslinien plus die Zugmaschinen, 600 Tonnen Gesamtgewicht sind abfahrbereit.

Der Trafo hatte eine knapp fünf Kilometer lange Reise zum Umspannwerk Vierraden vor sich, die um 22:00 beginnen sollte. Da war ich schon stundelang auf der Strasse Richtung heimwärts. Glücklicherweise haben sie die Baumänner aber entschieden, gleich nach dem Zusammenbau bis zum Ausgang des Hafens zu fahren.
Spannend war vor allem der Anfang dieser Fahrt. Denn zwischen den beiden jeweils 16-achsigen Tiefladern, unter dem Trafo, lagen ja noch die Holzstapen. Einfach vorwärts wegfahren ging also nicht, der Transport musste herausrangieren. Das ist aber trotzdem der Dimensionen gar nicht soooo schwierig. Denn es sind an beiden Tiefladern alle Achsen lenkbar. Wenn also die Zugmaschine beispielsweise nach vorne zieht und gleichzeitig der hintere Tieflader nach rechts lenkt, dann fährt sozusagen das hintere Ende des Transports schräg weg. Zwei oder drei Mal hin und her, und der komplette Transport steht neben den Holzstapeln, no big deal. Imposant für mich war es trotzdem!